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Veröffentlichen statt fertigstellen

Perfektionismus ist eine Ausrede

Warum gibt es ein so großes Missverhältnis zwischen der Zahl der Ideen die Menschen haben, und der Zahl der neuen Produkte/Bücher/Songs/Gedichte/Geschäfte usw.? Ein Teil der Antwort ist Perfektionismus.

Perfekt, aber langweilig?!?

Wann ist etwas fertig?

Diese Frage bekomme ich in einer etwas anderen Form sehr oft gestellt. Bei mir in der Praxis geht es meistens um das Ende der Behandlung. Die Antwort ist schwammig… Nicht weil ich ausweichen möchte und mich davor scheue eine Antwort zu geben. Eher weil es sehr darauf ankommt welchen Endpunkt wir für den ‚Erfolg‘ einer Behandlung wählen.

Genauso wie kein Sportler oder Musiker oder Künstler behaupten würde dass er/sie seine/ihre gewählte Tätigkeit jetzt beendet, weil alles in diesem Bereich erreicht wurde. Der Geiger legt die Geige nie weg und sagt sich „So. Fertig. Die Geige ist für immer ausgereizt und beendet. Jetzt kommt das Xylophon.“ Vielleicht sind die Karriereziele erreicht, aber das bedeutet im Fall der Musik auf keinen Fall dass nun die Beschäftigung mit dem Instrument endet. Die Art der Beschäftigung mit dem Instrument und die Intensität des Übens verändern sich. Aber sie enden nicht.

So ähnlich ist es mit unserem Körper und der Gesundheit. Wir bekommen über Gesundheit mehrere Dinge beigebracht:

  • Mehr als ‚geht schon‘ oder ‚muss halt‘ steht uns nicht zu
  • Wenn Ärzten nichts mehr einfällt dann kann niemand mehr was machen
  • Wir selbst brauchen uns nicht um Gesundheit zu kümmern. Ist viel zu kompliziert
  • Älter = kränker; schon lange da (chronisch) = unheilbar, hoffnungslos
  • Jemand anderen fragen als eine Ärztin ist sinnlose Geld- und Zeitverschwendung
  • usw.

Wie gesund und leistungsfähig und entspannt und dankbar und locker und beweglich wir werden können erfahren wir oft nie, weil wir es nie ausprobieren. Das ist zwar nicht an sich Perfektionismus. Aber wir sehen eben ein, wenn es nicht mehr perfekt werden kann, dann lohnt es sich gar nicht mehr sich anzustrengen. Die Idee dass irgendwer oder irgendwas perfekt sein könnten leitet also oft unser inneres Aufgeben und Resignation.

Warten auf die perfekten Bedingungen um anzufangen führt zu mehr warten.

Sich das naheliegendste kleine Ziel aussuchen und sich darauf zubewegen, führt zu mehr Bewegung.

seth goDin

Der Unterschied zwischen Künstlern die sehr produktiv sind und solchen die nur sehr selten etwas in die Öffentlichkeit stellen ist die Erkenntnis dass nichts jemals fertig ist. Also muss es veröffentlicht werden damit die Welt da draußen mit dem Ergebnis arbeiten und darauf reagieren kann. Genauso ist eine Behandlung in meiner Praxis. Wenn ich nur anfangen würde Menschen zu helfen wenn ich das ‚perfekte’ komplette Wissen über alles habe was die Gesundheit betrifft, wenn ich die ‚perfekte’ Krankengeschichte aufgenommen habe und der Fragebogen ‚perfekt’ ausgefüllt ist, wenn die Patienten sich ‚perfekt‘ an alles halten was ich ihnen rate oder sie sich schon jetzt ‚perfekt‘ um ihre Gesundheit kümmern und keinerlei Schwächen, Fehler, Asymmetrien, schiefe Wirbelsäulen etc. haben, dann hätte ich noch nie jemandem geholfen.
Das Unperfekte ist der Grund warum es solche Freude macht mit echten Menschen zu arbeiten. Wenn ich gemeinsam mit Dir als Patient einen Weg finde Dir mehr Hoffnung und Mut zu machen dass Du und Dein Körper wieder bessere Freunde werden, dann war meine Arbeit erfolgreich.

Denkanstöße, Tipps und Übungen für den Alltag?