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Peter Attia – Outlive

Auf meiner Podcast App gibt es zwei Kanäle, die ich kostenpflichtig abonniert habe. Einer davon ist ‚The Drive‘ von Peter Attia, MD. Oft dient ein Buch der Vertiefung der Themen, über die im Podcast geredet wird. Nicht so bei Peter Arttia. Die Podcast Folgen sind oft mehr als zwei Stunden lang und enthalten extrem detaillierte Diskussionen mit verschiedenen Fachleuten aus Medizin, Training, Psychologie usw. 

Das Buch das er nun herausgebracht hat ist eine Zusammenfassung der Erkenntnisse bisher. Er hat über 6 Jahre daran gearbeitet hat. Natürlich mit Pausen, Irrwegen und Sackgassen. Werben so, wie der Weg zur Gesundheit auch oft ist…

Das Thema des Buches ist Langlebigkeit. Zu englisch: Longevity. Alle Erkenntnisse, die seiner Ansicht nach nötig sind, um lange gesund zu leben, hat er auf knapp unter 500 Seiten ‚zusammengefasst‘. Es geht explizit nicht nur um die Anzahl der Jahre die wir Leben, sondern um das Leben in diesen Jahren. Laut Attia sind nur Jahre der körperlichen und geistigen Gesundheit und Unabhängigkeit wirklich lebenswert.

Auf einige der Highlights des Buches, die Du in Deiner Gesundheitsstrategie umsetzen kannst, möchte ich später im Artikel eingehen. Zuvor habe ich ein paar Gedanken, zu der Frage, wie dieses Buch und die darin enthaltenen Hinweise einzuordnen sind. 

Attia kommt aus der Krebs-Chirurgie. Für ihn bestand lange Zeit seines Lebens die höchste Form der Heilkunde daraus, Tumore aus Menschen möglichst präzise herauszuschneiden. Diese unwidersprochen wichtige und technisch schwierige Aufgabe prägt sein Bild von Gesundheit und Krankheit bis heute. Er nennt dies Medizin 2.0. Danach hat er, mehr oder minder frustriert, der Medizin den Rücken gekehrt und ist in die Finanzbranche eingestiegen. Nach eigener Auskunft ist er durch und durch Zahlenmensch. Dies wird im Verlauf des Buchs sehr deutlich…

Mittlerweile ist er, in der von ihm so genannten ‚Medizin 3.0‘, tätig. Er sieht die Gesunderhaltung des Menschen als Priorität. Medizin 2.0, er benutzt immer den Begriff ‚Medizin‘, nicht Heilkunde, ist das Modell, welches unser aktuelles System bestimmt. Menschen mit leichten Symptomen verschwenden nur die Zeit der Mediziner. Sie sollen wiederkommen, wenn es richtig schlimm ist. Also lange warten, bevor es zu einem Eingriff kommt. Dieser Eingriff ist dann aber alternativlos. Ein bisschen so, wie Angela Merkel Politik betrieben hat: Solange warten bis es nur noch einen Lösungsweg zu geben scheint. Diesen dann stur, konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen.

Statt präventive Heilkunde, nennt Attia es ‚pro-aktive‘ Heilkunde. Ein sehr treffender Begriff. Dazu müssen wir weg, von der Betrachtung des Durchschnittsmenschen und hin zur Wahrnehmung jedes Menschen als Individuum. In der Chiropractic keine neue Erkenntnis, aber eine richtige…

Mich stört, dass seine ganze Herangehensweise von Angst geprägt ist. Angst, krank zu werden, Angst vor Gebrechlichkeit, Angst davor einen Fehler zu machen, für den er später zahlen muss. Sein gesamtes Leben ist darauf ausgerichtet, möglichst lange gesund zu leben. Daran ist an und für sich nichts Schlechtes. Attia präsentiert aber damit eine Sichtweise von Gesundheit und Krankheit, die im Falle von Krankheit, eine Niederlage wahrnimmt. Für diese Niederlage müssen  Schuldige gefunden werden. Was habe ich falsch gemacht? Wieso habe ich das ganze Wissen, dass da draußen existiert, nicht angewandt? Wieso war ich kein braver Patient?

Gesundheit ist der Endzustand der Selbstoptimierung durch Vermessung von Allem was gemessen werden kann, VO2max, ApoB, Triglyceride, CGM, MUFA, PUFA, Darmspiegelung, Herz CT, usw. Die Freude daran, die Dinge zu tun, die ich eben tun kann wenn ich gesund und entspannt bin, weicht hier der kurzfristigen Erleichterung, wenn ich das nächste Testergebnis in den Händen halte. 

Aber eben auch nur bis zur nächsten Messung. So hetzt Attia von einer ‚objektiven‘ Bestätigung der Richtigkeit seiner Maßnahmen und Ansichten, zur nächsten.

Hier zeigt sich aber auch deutlich, für wen dieses Buch sehr gut geeignet ist. Diejenigen, die eine klare (und scheinbar objektive) Datenbasis brauchen, um Schlaf, Ernährung, Bewegung und Vorsorge zu planen. Wer eine fast 500-seitige Begründung für das braucht, von dem wir schon lange wissen, dass es uns gesund erhält, der/die ist hier genau richtig. 

Denn was rät Attia?

  • Viel mehr Bewegung
    • Mehr Ausdauer, mehr Kraft, mehr Stabilität, mehr Balance
  • Besserer und mehr Schlaf
    • Alles wird besser, wenn wir am Morgen ausgeruht aufwachen. Selbst der Blutzucker…
  • Iss hochwertige und bunt gemischte echte Nahrungsmittel
    • Die trendigen ‚Diäten‘ irgendwelcher Influencer oder auch altgedienter Gesundheitsgurus bei Instagram, Youtube und sonstwo im Netz braucht kein Mensch
  • Mehr und intensivere Vorsorge Untersuchungen
    • Für Herz, Darm, Haut, Prostata, usw
  • Putz’ Deine Zähne
    • Eine der Möglichkeiten chronische niedriggradige Entzündungen im Körper zu vermeiden ist Zahnhygiene.

Der zweite Punkt, bei dem ich immer wieder verzweifelt den Kopf schüttle, ist die Kriegssprache in der Heilkunde. 

‚We are losing the war.‘ Wir verlieren den Krieg. 

Ich bin voll und ganz dafür Kampf- und Kriegsbegriffe aus der Heilkunde zu entfernen. Gesundheit ist kein Krieg. Und wer ist ‚wir‘? Die Ärzte, die Menschheit, seine Patienten?

‚…, our circulatory system is far from perfect.‘ Unser Blutkreislaufsystem ist weit von perfekt entfernt.

Klassische medizinische Ansicht. ‚der Körper ist leider eine dumme Fehlkonstruktion und macht unnötige Fehler. Ich, als Mediziner muss dann eingreifen. Denn nur ich weiß, wie es besser geht.‘

Diese Einstellung ist arrogant, überheblich und völlig falsch. Für die komplexen Aufgaben unseres Körpers ist jedes Organ optimal aufgestellt.

Ein dritter und letzter Punkt mit dem ich nicht wirklich einverstanden bin, ist die Nutzung von Medikamenten in der sehr frühen, pro-aktiven Vorsorge. Das gesamte Kapitel über die Risikominimierung von Herz- und Kreislaufproblemen dreht sich um eine äußerst aggressive medikamentöse Regulierung des ApoB Blutwertes. Diesen erklärt Attia als ursächlich für die Plaquebildung in den Gefäßen. Ist ApoB mit mehrfachem Medikamenten Einsatz unter die Nachweisgrenze gedrückt, ist das Problem der Herzinfarkte und Schlaganfälle beseitigt. 

Diese extreme Fixierung geht auch auf einen der Grundsätze der Medizin zurück. ‚One cause, one cure‘ eine Ursache, eine Heilung. Wenn wir nur weiter ins Detail gehen, dann werden wir den einen Blutwert finden, der alles verursacht. Diese sehr reduktionistische Ansicht, wird der Komplexität des Körpers in keinster Weise gerecht.

Lebenslange Medikamenten Einnahme um mir den eventuell verfrühten Herztod vom Leib zu halten, ist für mich eine mindestens so schlimme Abhängigkeit, wie das angewiesen sein auf fremde Hilfe um meinen Alltag zu bewältigen. Einzelne Risikofaktoren verlieren an Bedeutung, wenn alle anderen Aspekte gut kontrolliert werden. 

Natürlich ist nicht alles schlecht. Sonst hätte ich mich nicht durch die fast 500 Seiten gearbeitet. Hier sind einige Punkte, die ich interessant fand. Vielleicht helfen Sie Dir ja auch weiter:

  • Die Olympiade der 100-jährigen:
    • Ein tolles Konzept. Bringt die Vorsorge auf ein sehr praktisches und umsetzbares Niveau.
    • Kernfrage: Was möchtest Du können, um auch im hohen Alter unabhängig von Hilfe und Pflege zu sein?
    • Was heißt das für Dein heutiges Leben? Beispiel: Mit 50 Jahren musst Du mehr als doppelt so leistungsfähig sein, wie Du es mit 100 Jahren sein möchtest. IM Falle von Balance sogar mehrere hundert Prozent besser…
    • Das Ziel ist die Erhaltung von Kraft, Ausdauer und Stabilität über ein breites Spektrum an Bewegungen. Gleichzeitig sollen Schmerz und Bewegungseinschränkungen möglichst zurückgedrängt werden.
    • Um zu den aktiven und unabhängigen 100-jährigen zu gehören, musst Du jetzt beginnen hart zu arbeiten. Oft in kleinen, manchmal kaum wahrnehmbaren Schritten.
  • Wir beeinflussen, was unsere Gene tun. Nicht andersherum.
  • Medizin 2.0: Spätes einsteigen in die Behandlung. Bestes Ergebnis: Mit einer Reihe von Krankheiten länger leben.
  • Medizin 3.0: Entstehung von Krankheiten verhindern. Bestes Ergebnis: Länger gesund leben.
  • Alle ‚Krankheiten‘ haben miteinander zu tun. Also sollten auch alle Forscher miteinander reden und arbeiten. 
  • Viszerales Fett an und um die inneren Organe, ist die gefährliche Variante des Fettgewebes.
    • Unterhaut Fett ist ein Schutzmechanismus für den Körper. So verhindert unser System, dass die Insulin Sensitivität abnimmt
  • Wie kommt es zur Diabetes Typ II und der Vorstufe
    • Muskeln sind die wichtigsten Nutzer von Glukose im Körper. 
    • Durch volle Unterhaut Speicher für Fett, kommt es zu mikroskopische. Fetttröpfchen in den Muskeln.
    • Diese scheinen die Transportwege für Glukose in die Muskelzelle zu behindern. Das Insulin kann so nicht mehr effizient Glukose aus dem Blut in den Muskel bringen.
    • Die Pankreas (Bauchspeicheldrüse) produziert mehr Insulin aber die Zellen nehmen die Glukose nicht auf. So entsteht mehr Fettgewebe aus der vielen Glukose im Blut. 
    • Gleichzeitig verhindert der hohe Insulinpegel den Abbau von Fett. Die Organe und Muskeln, inklusive der Pankreas, lagern das Fett an. Dies behindert dann letztendlich die Insulinproduktion. So beginnt Diabetes.
  • Fruktose wirkt völlig anders auf Zellen als Glukose. Beides wird zur Energiegewinnung genutzt.
    • Fruktose bringt die Zelle im Stoffwechsel dazu, mehr Energie (in Form von ATP) zu verbrauchen als dies bei Glukose der Fall ist. Dieser starke Abfall im ATP-Level in der Zelle löst mehr Hunger aus. 
    • Das machte vor einigen Tausend Jahren noch Sinn. Heute führt es zu einer Menge lebensverkürzender Probleme.
  • Die Vorstufe von Diabetes Typ II, die Insulin Resistenz, erhöht das Risiko für:
    • Krebs um das 12-fache
    • Alzheimer um das 5-fache
    • Herztod um das 6-fache

Ein sehr großer Dorn im Auge ist für Attia, dass Herz- und Kreislauferkrankungen die Nummer 1 der Todesursachen darstellen. Dies wäre beim korrekten Management von Apo-B fast völlig unnötig. 

  • Apo-B ist ein sehr direkter Marker für MI Risiko
  • Apo(a) ist ein noch besserer Marker. Dies kann nur durch ‚aggressive‘ Apo-B Behandlung beeinflusst werden. Ist genetisch. Muss einmal im Leben bestimmt werden. Dadurch ist eine Einstufung der Riskokategorie möglich. Hier können dann Maßnahmen abgeleitet werden. 
  • LDL und VLDL (Cholesterin Transport Moleküle) werden von ApoB ummantelt. 
  • Diese Apo-B Moleküle sind pro-entzündlich. Werden sie in der Gefäßwand oxidiert, dann beginnt eine Entzündung mit Schwellung usw. 
  • Bedingungen sind entweder zu viele Schäden oder viel zu viel Apo-B Cholesterin.
    • Statine müssen viel früher und von viel mehr Menschen genommen werden, um Apo-B und LDL-C extrem zu senken. 
    • LDL-C auf 10-20mg/dL. Derzeit gelten Werte von <70mg/dL als aggressives Management…
    • HDL (das gute Cholesterin) verändert sich auch, aber nur als Korrelation.
    • Niedriges Cholesterin im Blut ist kein Indiz für niedriges Cholesterin im Körper. Somit bleiben laut Attia alle Prozesse im Körper intakt, für die Cholesterin absolut notwendig ist. Die Herstellung vieler Hormone und auch die Struktur der Zellwände sind hier zu nennen.
  • Angeblich ist Apo-B die Ursache für die Plaques und den Herztod.
    • Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat die Sicht was ursächlich ist, ständig verändert. Somit hat sich auch das molekulare Ziel von Medikamenten ständig verändert. 
    • Was passiert in 10 Jahren, wenn Statine als völlig inadäquat gesehen werden? War dann die jetzige Strategie vielleicht ein grober Fehler mit damals noch unabsehbaren Folgen?
    • Eine sehr stark reduktionistische Ansicht auf einen einzigen Blutwert, übersieht immer die alles entscheidenden Zusammenhänge. 
    • Wo die Schäden initial herkommen, wird nicht wirklich erwähnt. Ich denke, dass die allgemeine Entzündungslage bedingt durch Ernährung, Rauchen, Alkohol, Stress die Bedingungen für die Schäden durch Apo-B verantwortlich ist.
    • Bevor ich empfehle Statine einzunehmen, muss zuallererst an diesen ungesunden Lebensgewohnheiten gearbeitet werden.
  • Zur Ernährung kann auch Peter Attia nicht viel Neues beitragen, außer…
    • Menschen nehmen Nahrungscholesterin sehr schlecht auf. Es ist egal wie viel Cholesterin in der Nahrung ist. 

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