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Die Suche nach Gemeinsamkeiten

Das Internet ist eine Aufregungs- und Erregungs Verstärkungs Maschine. Die Erregungskurven auch bei völlig banalen Themen sind steil und hoch. Die Kommentare sind meist negativ, egal ob dafür oder dagegen. Die Kontroversen sind vielfältig. Die ‚anderen‘ sind bösartige Lügner die zu dumm und ungebildet sind, die Wahrheit zu erkennen. ‚Wir‘ hingegen haben das Thema vollumfänglich verstanden, analysiert und segnen die Unwissenden nun mit unserem Wissen, damit sie nicht dumm durch diese feindselige Welt gehen müssen.

Die lässt die Gräben zwischen für/wider, rechts/links, unüberbrückbar erscheinen. 

Als alle Menschen eine oder zwei Zeitungen lasen, bzw, dieselbe Nachrichtensendung sahen oder hörten, konnten sie immer noch sehr unterschiedlicher Meinung sein. Aber sie diskutierten über denselben Inhalt. Es gab eine gemeinsame Basis. Seit Dutzende in sich abgeschottete Apps mit jeweils Millionen von Kanälen um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren, geht jeder Mensch mit einer eigenen Informationsbasis an den Start. Das erschwert die Diskussion ungemein. 

Die Suche nach Gemeinsamkeiten wird oft zu früh aufgegeben oder gar nicht mehr versucht. Aber jede Art von sinnvoller Diskussion, beginnt mit einem gemeinsamem Ziel. Am Ende dieser Diskussionen stehen Entscheidungen und diese sind immer Kompromisse. So funktioniert menschliches Zusammenleben. So funktioniert Demokratie. Ohne diese Diskussionen, bekommen wir eine Diktatur.

Corona

Es scheint lange her, aber bevor wir uns intensiv über Krieg, Pazifismus, Waffenlieferungen, Klimawandel, Elektroautos/-heizungen gestritten haben, gab es das Thema ‚Corona‘.

Die Ansichten von Impf-, Lockdown- und Maßnahmengegnern prallten oft und öffentlich auf die Meinungen und Argumente der Befürworter und Unterstützer. 

Die einen sahen sich diktatorisch unterdrückt, die anderen gesundheitlich gefährdet. Es wurden Phrasen und Memes ausgetauscht, aber wenige zielführende Argumente. 

Leider kam es bei den Begegnungen der beiden neu entstandenen Gruppen selten bis zu dem Punkt, wo über das gemeinsame Ziel nachgedacht wurde. Schon der bloße Gedanke, dass die völlig verwirrte und von Propaganda verblendete ‚Gegenseite’ irgendetwas mit mir gemeinsam haben könnte, schien absurd. 

Aber tatsächlich wollten alle dasselbe: Die veränderte Lebenssituation rund um das Auftauchen und die Ausbreitung des Coronavirus, sollte schnellstmöglich beendet werden. Alle wollten ihr unbedarftes Leben aus der Zeit ‚vor Corona’ wieder aufnehmen. Lediglich die Vorstellungen, wie dies am besten zu bewerkstelligen sei, waren unterschiedlich. 

Ausschließlich dann, wenn wir eine gemeinsame Basis finden, können wir als Gesellschaft/Familie/Paar/Freundeskreis/Arbeitskollegen reden, diskutieren und zu besseren Lösungen kommen. Schwarz/weiß und rot/braun Denken führt zu einer unversöhnlichen Verhärtung der Fronten.

Nehmen wir mal an, alle wollen das Beste.

Dies sollte die Basis für alle Gespräche und Diskussionen sein. Egal zu welchem Thema. Egal auf welcher Ebene. Gerade wenn die Positionen absolut unvereinbar scheinen, sollten wir uns immer wieder darauf besinnen, um was oder wen es geht.

Menschen möchten immer, dass es ihnen und anderen Menschen und Lebewesen gut geht. Probleme entstehen häufig, weil wir zu enge Grenzen mit willkürlichen Kriterien ziehen, welchen Menschen es gut gehen soll. Körperliche Merkmale, Kleidung, Religions-, Staats-, Geschlechts-, Familien- und Vereinszugehörigkeit, geografische Gebiete, Geburtsort, Art des aktuellen Transportmittels, werden angeführt um die Gruppe zu definieren, für die sich eingesetzt wird.

Die schlichte Anerkennung dass es kein ‚wir‘ und ‚die‘ gibt, muss ich mir auch immer wieder ins Gedächtnis rufen, wenn ich ein Thema finde, über dass ich mich aufrege. Dann versuche ich immer an David Foster Wallace zu denken, wenn er sagt: Der Wert von Bildung ist die Fähigkeit die eigene egozentrische Perspektive zu verlassen.

Diese Einsicht, gepaart mit der Idee der radikalen Eigenverantwortung, führen zu besseren Entscheidungen im Umgang mit unseren Mitmenschen.

Der Gedanke, dass der Mensch, der mich gerade nervt, aufhält, ärgert, erbost oder enttäuscht ebenfalls eine komplexe Person mit Vorgeschichte und Gründen für ihr derzeitiges Verhalten ist, hilft mir oft, eine allzu emotionale und unbedachte Reaktion zu vermeiden. 

Feste Überzeugungen, locker gehalten 

In dieser Lücke, zwischen Reizaufnahme und Antwort, finden alle die Prozesse statt, die ein friedliches und kooperatives Zusammenleben möglich machen. Sich Zeit zu nehmen, um zu reagieren ist eine große Stärke und wahrscheinlich das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen und Tier. 

Jede sofortige und reflexartige Reaktion entsteht entweder in unserem ‚Echsenhirn‘, also den Teilen des Gehirns, der schon bei den frühesten Lebewesen vorhanden ist. Oder sie wird möglich durch eine extrem einseitig verfestigte Interpretation der Welt, die immer nur einen Schluss zulässt. Zu überlegen, abzuwägen, zu zweifeln bedeutet nicht schwach, wischi-waschi oder Wendehals zu sein. Feste Überzeugungen locker zu halten bedeutet, dass ich mich meinen Prinzipien und Ideen folgend verhalte. Aber im Lichte neuer Informationen und Lebensumstände bin ich absolut bereit diese Überzeugungen anzupassen und zu modifizieren. 

Ich glaube, dass wir wieder zu einem sinnvolleren Diskurs finden müssen. Es muss möglich bleiben, auch kontroverse Standpunkte zu äußern, ohne sofort an den Pranger gestellt zu werden. In Schulen, Universitäten, Parlamenten, aber auch am Esstisch und am Stammtisch, muss kontrovers diskutiert werden. Standpunkte müssen präsentiert und argumentativ herausgefordert werden. Wir müssen es wieder schaffen unterschiedlicher Meinung zu sein ohne Feinde zu werden.

Denkanstöße, Tipps und Übungen für den Alltag?